Überlange Verfahrensdauer

22. August 2010

Das Bundesministerium der Justiz hatte mit einer Pressemitteilung vom 12.08.2010 eine Gesetzesinitiative zur Verbesserung des Rechtsschutzes bei überlangen Verfahren angekündigt, da die Bundesrepublik Deutschland aus diesem Grund bereits mehrfach durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt worden ist.

Im Zusammenhang mit der laufenden Diskussion um die Verbesserung des Rechtsschutzes für nicht eheliche Väter wäre darauf hinzuweisen, dass die Rechtsprechung in Deutschland bereits den außerordentlichen, das heißt gesetzlich nicht geregelten Rechtsbehelf der Untätigkeitsbeschwerde entwickelt hat. Dieses Richterrecht geht auf zwei Entscheidungen des Kammergerichts Berlin zurück. Beide Entscheidungen sind zu Verfahren vor dem Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg von Berlin, Familiengericht, ergangen. In beiden Verfahren ging es um Anträge von Kindesvätern, die durch das Familiengericht schlicht nicht bearbeitet worden sind (KG Beschluss vom 22.10.2004 – 16 WF 156/04 -, vorgehend AG Tempelhof-Kreuzberg – 134 F 10345/03 -, NJW-Spezial 2005, 154, Leitsatz; KG Beschluss vom 23.08.2007 – 16 WF 172/07 -, vorgehend AG Tempelhof-Kreuzberg – 171 F 7906/06 -).

Auch ich hatte mit Schreiben vom 17.08.2007 bei dem Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg unter Beweisantritt einen Antrag auf Anordnung eines Zwangsgeldes gestellt, wie es das Familiengericht in dem Beschluss auf Regelung des Umganges aus dem Juni 2006 für jede Zuwiderhandlung der Kindesmutter angedroht hatte. In diesem Verfahren wäre zu klären gewesen, ob die Kindesmutter den Umgang willkürlich verweigert und damit der Elternteil ist, der den Anlaß für die streitigen Auseinandersetzungen der Eltern setzt.

Der Antrag hat ein Aktenzeichen erhalten und ist niemals bearbeitet worden.

In den Verfahren der Berufungsbeschwerde gegen die Verweigerung des gemeinsamen Sorgerechtes hat das Kammergericht mit Beschluss vom 28. Juli 2009 – 17 UF 82/08 -, der meinem ersten Blogeintrag beigefügt ist, in seinen Hilfserwägungen zu der materiellen Begründetheit des Antrages auf gemeinsame Sorge dazu ausgeführt:

„Entgegen der Auffassung des Kindesvaters käme es auch nicht darauf an, wer an dieser Situation schuld ist, und ob dem Kindesvater (!) insoweit ein Fehlverhalten vorzuwerfen ist. Es kann dahinstehen, durch wessen Verhalten die Kommunikations- und Verständigungsprobleme zwischen den Eltern in erster Linie (!) hervorgerufen werden, wie der BGH erst kürzlich wieder festgestellt hat (MDR 2008, 452, 453). Auf diese Frage kommt es bei der Entscheidung, ob die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl entspricht, nicht an (BGH, a. a. O,). Denn welcher Elternteil ’schuld‘ an dieser Situation ist, ist zum einen wegen der Komplexität partnerschaftlicher Beziehungen kaum feststellbar, und zum anderen für die gemäß § 1671 BGB zu treffende Entscheidung ohne erhebliche Bedeutung. In diesen Fällen entspricht es dem Kindeswohl am besten, wenn nur einem Elternteil die elterliche Sorge übertragen wird (vgl. die amtliche Begründung in BT-Drucks. 13/4899 S. 63).“

Und das ist natürlich die Mutter.

Der Bundesgerichtshof hat ja mit Urteil vom 12.12.2007 – XII ZB 158/05 – festgestellt, das pflichtwidrige Verhalten der Kindesmutter dürfe nicht mit einer ihr aufgezwungenen gemeinsamen elterlichen Sorge sanktioniert werden.

Und der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts, der jetzt nach sieben Jahren die Möglichkeit einer Klage erlaubt hat, entschied vorsorglich schon mit Beschluss vom 18.05.2008 – 1 BvR 142/09 – (vgl. Blogeintrag vom 06.09.2009), eine dem grundrechtlich geschützten Elternrecht genügende Entscheidung über das Sorgerecht könne nur auf Grund einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalles getroffen werden. Die Abwägung habe sich nicht an der Sanktionierung des Fehlverhaltens eines Elternteils zu orientieren, sondern vorrangig am Kindeswohl.

Womit die Möglichkeit einer Klage des Kindesvaters auf eine gemeinsame Sorge im Falle der Verweigerung durch die Kindesmutter den Grund für ihre Ablehnung in sich trägt.

Wie erleben die Kinder dieses Wohl? Einen seltenen Fall des Blick hinter die Lügen bietet ein Artikel von Frau Katrin Hummel über einen Jungen, der mit sieben Jahren von seinem Vater getrennt wurde, um im Alter von achtzehn Jahren seinen Vater wieder zu sehen und die Wahrheit kennen zu lernen (Feindbild Vater – Das entfremdete Kind).

Dabei erfüllt das Verhalten der Kindesmutter im Falle der Umgangsverweigerung den Tatbestand der Kindesentziehung (§ 335 StGB). Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Verweigerung des Umgangs durch den allein sorgeberechtigten Elternteil in den Schutzbereich der Vorschrift fällt (BGH Urteil vom 11.02.1999 – 4 StR 594/98 – BGHSt 44, 355, FamRZ 1999, 651; vgl. auch AG Hamburg Urteil vom 21.12.2005 – 843-159/05).

Ausreichend ist die räumliche Trennung von gewisser Dauer. Wenige Stunden sind ausreichend (Tröndle StGB 48. Auflage 1997 zu § 234 Rn. 6 unter Hinweis auf BGH Urteil vom 01.12.1970 – 5 StR 516/70). Insbesondere wenn das Kind dem Berechtigten nur für diese kurze Zeit infolge Anordnung des (Familien-) Gerichtes zur Verfügung steht (Tröndle aaO. Rn. 6 unter Hinweis auf BGHSt 10, 376).

Die Entziehung erfolgt mit Gewalt im Sinne des § 335 StGB. Über die frühere Definition hinaus, wonach Gewalt die Anwendung physischer Kraft zur Überwindung geleisteten oder erwarteten Widerstandes ist, gehört für eine Auslegung, die das Schutzgut der Vorschrift berücksichtigt, zum Begriff der Gewalt auch der Fall des (zur Beseitigung eines körperlich wirkenden Hindernisses erforderlichen) Aufzwingens von – nicht zumutbarer – Gegengewalt (Tröndle aaO. § 240 Rn. 6 mwN.). 

Es bräuchte ein neues Verständnis von Gewalttätigkeit, die nicht in der Geste des Handelnden erscheint, sondern mit den Zerstörungen an ihren Opfern, in ihren Folgen zu Tage tritt. Die weibliche Gewalttätigkeit sichtbar macht.