Apostroph

28. August 2012

Der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit Beschluss vom 19.06.2012 – 2 BvR 1397/09 – entschieden, die Ungleichbehandlung von verheirateten und in einer eingetragenen Lebensgemeinschaft lebenden Beamten bei dem Familienzuschlag des Beamtenbesoldungsgesetzes stelle eine am allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 Abs. 1 GG zu messende mittelbare Ungleichbehandlung wegen der sexuellen Orientierung dar. Gehe die Privilegierung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer, in vergleichbarer Weise rechtlich verbindlich gefasster Lebensformen einher, obgleich diese nach dem geregelten Lebenssachverhalt und den mit der Normierung verfolgten Zwecken vergleichbar sind, rechtfertigt der bloße Verweis auf das Schutzgebot der Ehe keine Differenzierungen. Vielmehr bedarf es einer Rechtfertigung der Benachteiligung dieser anderen Lebensform.

Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit Beschluss vom 18.07.2012 – 1 BvL 16/11 – entschieden, es verstosse gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz, dass eingetragene Lebenspartner vor Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes  2010 nicht wie Ehegatten von der Grunderwerbssteuer befreit sind.

Wie hat das BVerfG seine Entscheidung vom 19.06.2012 ( 2 BvR 1397/09) begründet?

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebiete, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln, sowie wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (belegt mit einem Hinweis, Zitat, auf frühere Entscheidungen des BVerfG). Verboten sei daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten werde (Zitat BVerfG).

Aus dem Verbot des gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss ergäben sich je nach Gegenstand unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichten (Zitat BVerfG). Genaue Maßstäbe könnten nur bezogen auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmt werden (Zitat BVerfG). 

Im Falle der Ungleichbehandlung von Personengruppen bestehe regelmäßig eine strenge Bindung des Gesetzgebers an die Erfordernisse des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, und zwar auch dann, wenn nur eine mittelbare Ungleichbehandlung bewirkt werde (Zitat BVerfG). 

Eine Norm verletze dann das Verbot eines gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss, wenn eine Gruppe verschieden behandelt werde, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (Zitat BVerfG).

Die Anforderungen an eine solche Rechtfertigung seien um so strenger, je mehr sich die zur Unterscheidung angeführten personenbezogenen Merkmale den in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmalen annähern, das heißt je größer die Gefahr ist, dass eine an sie anknüpfende Ungleichbehandlung zur Diskriminierung einer Minderheit führt (Zitat BVerfG). Das sei bei der Differenzierung nach der sexuellen Orientierung der Fall (Zitat BVerfG).

Die Ungleichbehandlung von verheirateten und in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebenden Beamten bei dem Familienzuschlag stelle im Ergebnis einen gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss im Sinne des Art. 3 GG dar. Zwar richte sich die Regelung nicht nach der sexuellen Orientierung, sondern nach dem Familienstand der Ehe. Damit werde jedoch mittelbar an die sexuelle Orientierung angeknüpft, da der Familienstand von der sexuellen Orientierung abhängig sei (Zitat BVerfG).

Es handele sich damit um eine an Art. 3 GG zu messende Ungleichbehandlung bei der Gewährung einer Begünstigung, die einer Rechtfertigung bedarf.

Das Gericht stellt an diesem Punkt seiner Prüfung (Rn. 64) das Tatbestandsmerkmal einer Ungleichbehandlung fest („Die Ungleichbehandlung von….“), ohne sich mit dessen Voraussetzung zu befassen: wesentlich Gleiches.

Diese Ungleichbehandlung sei nicht durch Art. 6 GG gerechtfertigt. Das Gericht definiert sodann die Ehe als Paarbeziehung mit besonderen gegenseitigen Einstandspflichten (Rn. 66). Damit schütze Art. 6 GG, wie das Gericht nachfolgend ausführt, nicht die Beziehung zwischen Mann und Frau, sondern rechtlich verbindliche und in besonderer Weise mit gegenseitigen Einstandspflichten verbundene Paarbeziehungen (in rechtlich nicht erheblicher Weise durch das Gericht auch mit dem Attribut dauerhaft definiert) gegenüber anderen, durch ein geringeres Maß an wechselseitiger Pflichtbindung geprägten Lebensgemeinschaften (auch als weniger verbindlich bezeichnet). Die Ehe wird fiskalisch als Paarbeziehung definiert, die den Staat von finanzieller Verantwortung entlastet.

Indem das Gericht auf diese Weise die Bedeutung des Art. 6 GG definiert, wirkt er nicht mehr als Begrenzung des Art. 3 GG (Rechtfertigung einer zunächst unterstellten Ungleichbehandlung bei einer Begünstigung), sondern dient im Gegenteil zur Feststellung einer Ungleichbehandlung, da aus ihm das wesentlich Gleiche und damit die Feststellbarkeit einer Ungleichbehandlung erst abgeleitet wird.

Damit übergeht das Gericht seine fehlenden Feststellungen zu den eigentlich in der rechtlichen Prüfung voranstehenden Voraussetzungen einer Anwendung des Art. 3 GG (wesentlich Gleiches) und zu der Intention des Art. 6 Grundgesetz. Diese klingen nur noch in einem Nebensatz an, in dem das BVerfG seine unmenschliche Schamhaftigkeit in zwei kleinen Apostrophen zeichnet: „Der Gesetzgeber darf darüber hinaus berücksichtigen, dass die Ehe nach wie vor in signifikantem Umfang Grundlage für ein ‚behütetes‘ Aufwachsen von Kindern ist“ (Rn. 66).

Mit diesem Kniff bedarf es dann folgerichtig, wie das Gericht weiter ausführt, „jenseits der bloßen Berufung auf Art. 6 Abs. 1 GG eines hinreichend gewichtigen Sachgrundes“, der die Benachteiligung rechtfertigt (Rn. 67).

Das BVerfG stellt sodann fest, der Gesetzgeber habe die familienrechtlichen Institute der Ehe und der Lebenspartnerschaft bereits durch einfaches Gesetz weitgehend angeglichen (Rn. 69 f). Damit bestünde kein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung. Auf Grund des Gleichbehandlungsgebotes des Art. 3 GG sei der Gesetzgeber durch das Grundgesetz verpflichtet, die Lebenspartnerschaft auch bei der Beamtenversorgung gleich zu stellen.

Die Voraussetzungen des Art. 3 GG werden aus Art. 6 GG abgeleitet, wonach es eines anderen Grundes zur Rechtfertigung bedarf. Es ist also nicht die bereits erfolgte Angleichung der Lebenspartnerschaft an die Ehe an Art. 6 GG zu messen, sondern weil der Gesetzgeber Ehe und Partnerschaft bereits weitgehend angeglichen hat, ist er nach Art. 3 GG gehalten noch weiter zu gehen.

Gekürzt lautet die Begründung, weil der Gesetzgeber durch einfaches Gesetz die Lebenspartnerschaft bereits weitgehend der Ehe angeglichen hat, gebietet Art. 3 Grundgesetz das vollständig zu tun.

Das ist ein Zirkelschluss, macht aber nichts. Ohnehin würde jeder, der zu einem anderen Ergebnis kommt, medial auf die Straße gezerrt und totgeschlagen. Durch Dr. Heribert Prantl vielleicht, der bereits im Jahr 2010 in der Süddeutschen Zeitung die politische Umerziehung der Richter des Bundesverfassungsgerichts gefordert hatte, als das Gericht nach seinem Verständnis Meinungsfreiheit annahm (1 BvR 2585/06). Nun, das wird jetzt zum Glück nicht mehr notwendig sein. Und auch das Problem der Meinungsfreiheit ist gelöst, da es bereits niemand mehr wagt, eine Meinung zu haben. In dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht angehört, haben sich allein der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) und die Bundesarbeitsgemeinschaft Schwuler und Lesbischer Paare e. V. (SLP) geäußert.

Das ist verständlich. Schon als ich es in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Berlin (betreffend die Unterlassung einer Plakatkampagne) nur wagte zu erwähnen, das beklagte Land führe nicht nur eine an die Öffentlichkeit gerichtetete Plakatkampagne mit der Behauptung, 25 % aller heterosexueller Männer in Beziehungen schlage Frauen, sondern zugleich auch eine Plakatkampagne, in der die Harmonie homosexueller Partnerschaften hervorgehoben werde, verzog der Richter das Gesicht, als habe er in eine Zitrone gebissen (oder ich den Arm zum Hitlergruß erhoben), und würgte das Gespräch über diesen Punkt ab (während den Beklagtenvertreterinnen noch der Ruf entfuhr: „Das waren wir nicht!“). Ich hatte eine Tatsache im Kontext des Streitgegenstandes vorgetragen, eine ebenfalls an die Öffentlichkeit gerichtete Behauptung des Landes Berlin, aber damit eine tief sitzende Irrationalität berührt. Don’t ask, don’t tell.

Als nächstes wird das BVerfG voraussichtlich noch in diesem Jahr, so die Geschäftsstelle, das Fremdadoptionsrecht in eingetragenen Partnerschaften einführen, mit der Begründung, dies sei durch Artikel 3 Verfassung geboten, weil der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts vom 15.12.2004 bereits die Stiefkindadoption eingeführt habe. Anfang nächsten Jahres wird das BVerfG dann die Erstreckung des Ehegattensplitting auf die Lebenspartnerschaft anordnen, mit der Begründung, weil der Gesetzgeber bereits das Fremdadoptionsrechts eingeführt habe, bestünden keine Unterschiede mehr, die eine Differenzierung hinsichtlich des Aufwachsens von Kindern rechtfertigen könnten.

Zur Einstimmung auf diese Entscheidung nimmt das BVerfG in seinem Urteil (Rn. 75) bereits Bezug auf die für das Bundesministerium des Justiz erstellte, und 2009 im Bundesanzeigerverlag in gebundener Fassung erschiene Auftragsarbeit mit dem Titel „Die Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften“ von Frau Marina Rupp, die ihren wissenschaftlichen Ansatz am 29.07.2009 in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel „Kenn ich nicht, will ich nicht“ eingangs so beschrieb: „Sollen Kinder mit zwei Müttern oder zwei Vätern aufwachsen dürfen? Als ob das die Frage wäre“.