Opfertyp

2. Januar 2016

 Am 16. November 2015 endete die Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2012/29/EU über Mindeststandards für den Schutz der Opfer von Straftaten. Die Regierung in Deutschland hat innerhalb der Frist keine gesetzliche Regelung zur Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht beschlossen, die erst am 21.12.2015 erfolgte. Damit war die Richtlinie seit dem 16.11.2015 durch Behörden, Gerichte und Staatsanwaltschaft in Deutschland unmittelbar anzuwenden. Durch ihr Unterlassen hat die deutsche Bundesregierung ohne öffentlich wahrnehmbares Handeln den gesetzlichen Typ des Opfers mit besonderen Schutzbedürfnissen geschaffen (Art. 18 f). Die Erhöhung des Schutzes für eine Person, die behauptet Opfer zu sein, führt zur Verringerung des Schutzes der Person, die beschuldigt wird, Täter zu sein. Die Regelung zielt darauf ab, im Falle der Behauptung einer Vergewaltigung die Frau vor einer kritischen Überprüfung ihrer Behauptung zu schützen. Anlässlich des internationalen Tages zum Thema Gewalt gegen Frauen am 25.11.2015 fordert der Deutsche Juristinnenbund e. V. eine Woche später in einer Pressemitteilung folgerichtig, nunmehr auch die bereits vorbereitete Änderung des § 177 StGB fortzusetzen, wonach es für die Annahme einer Vergewaltigung zukünftig ausreichend sein soll, wenn eine Frau behauptet, etwas sei gegen ihren Willen geschehen.

Fortschreibung (09.01.2016): Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet in einem Artikel am 09.01.2016, anlässlich der Ereignisse auf der Kölner Domplatte in der Sylvesternacht 2015/2016, die ich nicht aus eigener Anschauung kenne, wolle die Bundesregierung die geplante Änderung des Sexualstrafrechts (§ 177 StGB) jetzt zügig umsetzen. Immerhin spricht die Bundesregierung jetzt auch von einer Verschärfung des Sexualstrafrechts, statt wie bisher von einer Reform, womit Herr Heiko Maas tatsächlich bei einer Gesetzesänderung sagt, worum es ihm eigentlich zu tun ist. Dem Artikel zufolge ist allerdings Frau Renate Künast der Meinung, auch diese Verschärfung gehe nicht weit genug, weil es – so wörtlich – „im Grunde bei dem alten Tatbestand (bleibe), der oftmals zu Freisprüchen führt„.

Sinn des Handelns der Bundesregierung ist demnach, eine Notlage der Gesellschaft herzustellen, um ihre Handlungsfreiheit zu erhöhen.

Genutzt wird dabei ein psychologischer Effekt: die Abkömmlinge der Verdrängung sehen zwei ihrer Ersatzbilder – Ausländer / Flüchtling (guter Mensch, weil nicht deutsch) und deutsche Frau (guter Mensch, weil nicht Mann) in Konflikt geraten und weichen einer Lösung ihrer psychischen Probleme aus auf einen dritten Weg: Oppression gegen den deutschen Mann.

Der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Justiz ist am 18.12.2015 durch das Bundeskanzleramt zur Abstimmung mit den Ländern und den Verbänden frei gegeben worden, wie sich aus der Pressemitteilung zu den ‚Rechtsfolgen der Übergriffe von Köln‘ ergibt.

Der Tatbestand des § 177 StGB lautet bisher:

„(1) Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung

Wer eine andere Person

1.    mit Gewalt,

2.    durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben oder

3.    durch Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer den Einwirkungen des Täters schutzlos ausgeliefert ist,

nötigt, sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an sich zu dulden oder an dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft“

Nach der Änderung, wie sie in dem Referentenentwurf in der gegenwärtigen Fassung vor der Abstimmung mit den Ländern und den Verbänden vorgesehen ist, würde der Tatbestand des § 177 StGB lauten:

„(1) Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung

Wer eine andere Person

1.    mit Gewalt oder

2.    durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben

3.    (entfallen)

nötigt, sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an sich zu dulden oder an dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft“.

Nr. 3 in Absatz 1 des § 177 StGB würde also nach dem Referentenentwurf gestrichen, wird tatsächlich aber in § 179 StGB verlagert und dort ausgeweitet.

Der Referentenentwurf sieht dazu jetzt auch eine Änderung des § 179 StGB vor.

Der Tatbestand des § 179 StGB lautet bisher:

(1) Sexueller Mißbrauch widerstandsunfähiger Personen

Wer eine andere Person, die

1.   wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchkrankheit oder wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder

2.   körperlich

zum Widerstand unfähig ist, dadurch mißbraucht, daß er unter Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zehn Jahren bestraft.“

Nach der Änderung, wie sie in dem Referententwurf in der gegenwärtigen Fassung vor der Abstimmung mit den Ländern und den Verbänden vorgesehen ist, würde der § 179 StGB lauten:

„(1) Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung besonderer Umstände

Wer unter Ausnutzung einer Lage, in der eine andere Person

1.   aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zustands zum Widerstand unfähig ist,

2.   aufgrund der überraschenden Begehung der Tat zum Widerstand unfähig ist oder

3.   im Fall ihres Widerstandes ein empfindliches Übel befürchtet,

sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zehn Jahren (…) bestraft.“

Die weiteren, in dem Entwurf vorgesehenen Änderungen sind dann Anpassungen an die eingebettete wesentliche Änderung, der zufolge sexuelle Handlungen strafbar sein sollen, wenn eine Beteiligte auf Grund ihres psychischen Zustandes zu einem Widerstand unfähig wäre, der demnach nicht geäußert sein muss. Die zunächst angedachte Formulierung „gegen ihren Willen“ in § 177 StGB (als Vergewaltigung) soll also nun etwas subtiler durch die Formulierung „wegen ihres psychischen Zustands zum Widerstand unfähig“ in § 179 StGB (als sexueller Mißbrauch) erreicht werden, die in der weiteren Abstimmung dann auch an der Stelle des § 177 Abs. 1 Satz 3 StGB wieder eingefügt werden könnte, wie es der Stellungnahme des Bundesrates zu dem „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht“ vom 10.10.2014 entsprechen würde. Die Strafandrohung des § 179 StGB mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zehn Jahren ist aber auch schon ganz schön.

Es handelt sich um die hintergründige Abschaffung der strafprozessualen Unschuldsvermutung gegen Männer durch eine materiell-rechtliche Regelung zur Verlagerung der Tatsachenfeststellung in die Psyche einer Frau, die behauptet Opfer zu sein, und deshalb bei der Überprüfung ihrer Behauptung besonders schutzbedürftig ist.