Mäßigung

25. April 2023

Ein Schöffe ist im deutschen Strafrecht ein Laienrichter in der Nachfolge der bis zum Jahr 1924 bestehenden Geschworenengerichte mit 12 Geschworenen (wie noch heute im us-amerikanischen Recht). 

Der 1. Strafsenat des Thüringer Oberlandesgericht hat auf Antrag des Vorsitzenden der 10 Strafkammer des Landgericht Erfurt mit Beschluss vom 09.03.2023 (S) AR 5/23 eine Schöffin dieser 10. Strafkammer ihres Schöffenamtes enthoben, weil diese ihre Amtspflichten gemäß § 51 Abs. 2 GVG gröblich verletzt habe. 

Die Begründung des Antrags aus einem Zeitungsartikel zur assoziativen Verbindung der betroffenen Person mit verfassungsfeindlichen Idealen hat das Gericht als nicht konkret und nicht belegt erachtet oder vielmehr, um diesen nicht prüfen zu müssen, es ausdrücklich offen gelassen, ob Zweifel an der Treue der zur Schöffin bestellten Person an der Verfassung bestehen: „Ob eine hinreichende sichere Tatsachengrundlage für die Annahme besteht, dass Zweifel an der besonderen Verfassungstreue der Schöffin vor dem Hintergrund ihrer politischen Betätigung bestehen, insbesondere ein (in welche politische Richtung auch immer tendierender) „Extremismus“ nachweisbar vorliegt und der Annahme diesbezüglicher Integrität der Schöffin widersagt, muss der Senat vorliegend nicht entscheiden“ (II.2.b der Begründung). 

Das Gericht scheint dann aber die Pflicht zur Mäßigung als einen Teil der Pflicht zur Verfassungstreue entwickeln zu wollen: „Soweit sich die Schöffin bezüglich der ihrerseits eingeräumten Aktivitäten auf ihre Grundrechte namentlich der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG, dem Inhalt nach aber auch der freien Meinungsbildung und -äußerung nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG beruft, ergibt sich daraus nichts anderes. Selbst die besonders gehaltvollen politischen Grundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG stehen nicht nur nach Art. 5 Abs. 2 GG unter dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze, die grundrechtsfreundlich im Lichte der insgesamt zu gewährleistenden ungehinderten öffentlichen Diskussion auszulegen sind, sondern finden ihre Schranke in der unmittelbar aus der Verfassung abgeleiteten Verpflichtung eines Schöffen zur persönlichen Verfassungstreue, die ihn – auch außerhalb seines Amtes als ehrenamtlicher Richter – unbeschadet uneingeschränkt zulässiger Kritik an den Zielen oder der konkreten Politik der jeweiligen Regierung verpflichtet, die geltende verfassungsrechtliche Ordnung als schützenswert anzuerkennen, in diesem Sinne sich zu ihr zu bekennen und aktiv für sie einzutreten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.05.1975 – Az. 2 BvL 13/73 = BVerfGE 39, S. 334). Nichts anderes kann hinsichtlich der Aspekte des Neutralitätsgebots und seiner Wahrung nach außen als Grundpflicht auch ehrenamtlicher Richter gelten“ (Seite 11). 

Im Ergebnis hat das Gericht die Schöffin ihres Amtes enthoben, weil diese an Demonstrationen gegen die mit dem Corona-Virus begründeten Maßnahmen teilgenommen und solche organisiert (angemeldet) hat: „Eine Pflichtverletzung steht vorliegend aufgrund der umfangreichen und nachgerade auf Außenwirkung gerichteten politischen Betätigung der Schöffin an sich fest, die jedenfalls in dem hier zu konstatierenden Umfang eine Verletzung des Mäßigungsgebots darstellt„. 

Und zwar weil es sich um einen politisch äußert konträren Zusammenhang handele: „Unbestritten bleibt demnach ein erhebliches politisches Engagement im öffentlichen Raum, zudem in einem hochsensiblen, politisch äußerst konträr, aber typischerweise mit vehement wie absolut vorgetragenen politischen Ansichten einhergehenden Zusammenhang“ (Seite 8 unten). 

Hochsensibel und politisch äußerst konträr ist es allerdings als Folge der psychischen und physischen Gewalt der medial mächtigen Seite. Das würde bedeuten, in einem politisch äußerst konträren Zusammenhang verletzt die Position mit geringerer Macht durch ihre daraus folgende Bezugnahme auf Grundrechte ein Mäßigungsgebot, das als Teil der Verfassungstreue definiert wird. Zur Verdeutlichung: das würde im Jahr 2023 bereits für die Anmeldung einer Friedensdemonstration gelten. In der Folge würde gerade die Steigerung der Vehemenz, mit welcher eine staatliche Position medial vertreten wird, die Berufung auf Grundrechte gegenüber dieser Position disqualifizieren. 

Hinzu kommt, die Funktion der Schöffen ist es als Nachfolge der Geschworenen ein Stück weit die durch den Richter ausgeübte staatliche Gewalt zu neutralisieren, wobei von den jeweils zwei ehrenamtlichen Richtern in den Kammern der Arbeitsgerichte sogar immer einer aus dem Lager der Arbeitgeber und einer aus dem Lager der Arbeitnehmer stammen muss, diese damit sogar konträr besetzt sein müssen. Und diese Funktion gewinnt gerade in konträren Zusammenhängen an Bedeutung, wie der Antrag des Vorsitzenden einer Strafkammer – ungewöhnlich genug – auf Entfernung eines Schöffen zeigt. Diese Rechtsprechung hingegen bewirkt die Neutralisierung dieser Funktion. Das zeigt sich auch in der Begründung, welche auch auf mögliche Verfahren unter Beteiligung dieser Schöffin verweist, die Sanktionen in diesem konträren Zusammenhang zum Gegenstand haben könnten.