30. September 2024
Am 10.10.2024 wollen die Abgeordneten der Regenbogenpartei:en im Bundestag bei derzeit (30.09.2024) Tagesordnungspunkt 9 ihren Entwurf eines Gesetzes zum Ausschluss der AfD von der Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts beschliessen. Weil alle Richterstellen besetzt werden müssen, damit das Bundesverfassungsgericht beschlussfähig ist, aber die ihr zustehenden Richterstellen der AfD oder anderen unerwünschten Parteien durch Nichtwahl verweigert werden sollen, sieht der Entwurf vor, diese Stellen dann durch Richter der anderen Parteien, welche der AfD die Position verweigert haben, zu besetzen (mittels Durchbrechung der Sperrminorität über wechselseitig den Bundestag und den Bundesrat). BT-Drucks. 20/12978
So wie die CDU in Thüringen ein großes Geschrei veranstaltet hat, als sie der AfD den ihr zustehenden Posten des Parlamentspräsidenten durch Nichtwahl verweigert hat, um ihn dann selbst zu übernehmen. Schäbig ist, glaube ich, das Wort dafür und soll fortan den Charakter der CDU des Herrn Merz beschreiben.
Die Wahlfreiheit der Abgeordneten der AfD läuft in die Leere. Die Bindung der Wahl der Richter des Verfassungsgerichts an die Wahl der Abgeordneten durch das Volk wird abgeschnitten.
Begleitend dazu wird die Verfassung weiter verändert. BT-Drucks. 20/12977
Der bisherige Art. 94 a. F .wird in den bisherigen Art. 93 verlagert und umgekehrt. Wesentlich ist dabei folgende neue Definition: „Das Bundesverfassungsgericht ist ein allen übrigen Verfassungsorganen gegenüber selbstständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes“ (Art. 93 Abs. 1 GG n. F). Womit gemeint ist, ein von dem Volk und seiner Wahl unabhängiger Gerichtshof.
Und wesentlich ist folgende Einfügung in Art. 93 Abs. 2 Satz 3 GG n. F: „Durch Bundesgesetz nach Absatz 5 kann vorgesehen werden, dass das Wahlrecht vom anderen Wahlorgan (Anm: Bundestag oder Bundesrat) ausgeübt werden kann, wenn innerhalb einer zu bestimmenden Frist nach dem Ende der Amtszeit oder dem vorzeitigen Ausscheiden eines Richters eine Wahl seines Nachfolgers nicht zustande kommt„.
Die publizistische Begründung für das Gesetz lautet also, man wolle die wesentlichen Strukturprinzipien des Gerichts in der Verfassung verankern, statt wie bisher im BVerfGG, nur um tatsächlich in die Verfassung die Möglichkeit einzufügen, durch Bundesgesetz die Opposition von der Wahl der Richter auszuschließen, also das Gericht aus Artikel 20 Abs. 2 Grundgesetz heraus zu lösen. Es bestehe ein Grundkonsens der Mehrheit, das Gericht tagespolitischer Auseinandersetzung dauerhaft zu entziehen, womit gemeint ist, Kompromisse mit der Opposition einzugehen.
Dieser Gesetzentwurf zeigt, die Intention des durch die Verfassungsgerichte mit der Wahlfreiheit der Abgeordneten gerechtfertigten Verhaltens will und wird diese Wahlfreiheit dann verneinen, wenn die AfD in eine Position gerät, welche ihrer Wahlfreiheit Wirkung gibt. Womit die gesamte Begründung hinfällig ist (Wahlfreiheit).
Die Wahlfreiheit der Abgeordneten der AfD und ihrer Wähler wird zur Blockade der Wahlfreiheit der Abgeordneten der anderen Parteien erklärt. Dabei scheint mir die Sperrminorität ein wesentliches Mittel der Opposition zu sein, die Mehrheit zu Kompromissen zu bewegen. Die Herrschaft der Mehrheit soll also absolut sein.
Der Konsens wäre demnach so zu verstehen. Die Deutschen sind schlecht und müssen durch eine von dem alliierten Kontrollrat eingesetzte Regierung kontrolliert werden. An die Stelle des alliierten Kontrollrates (der Blockbindung im kalten Krieg) soll nun, fünfunddreissig Jahre nach der Wiedervereinigung, das Bundesverfassungsgericht treten, weshalb es von der Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk isoliert werden muss. BT-Drucks. 20/12977
Dabei gibt es in § 7a BVerfGG bereits eine Auffangregelung zur Lösung einer Blockade, die aber bis zu dem einer Demokratie fremden Verhalten der Parteien gegenüber der AfD nie zum Tragen kam:
(1) Kommt innerhalb von zwei Monaten nach dem Ablauf der Amtszeit oder dem vorzeitigen Ausscheiden eines Richters die Wahl eines Nachfolgers auf Grund der Vorschriften des § 6 nicht zustande, so hat das älteste Mitglied des Wahlausschusses unverzüglich das Bundesverfassungsgericht aufzufordern, Vorschläge für die Wahl zu machen.
(2) Das Plenum des Bundesverfassungsgerichts beschließt mit einfacher Mehrheit, wer zur Wahl als Richter vorgeschlagen wird. Ist nur ein Richter zu wählen, so hat das Bundesverfassungsgericht drei Personen vorzuschlagen; sind gleichzeitig mehrere Richter zu wählen, so hat das Bundesverfassungsgericht doppelt so viele Personen vorzuschlagen, als Richter zu wählen sind. § 16 Abs. 2 gilt entsprechend.
Diese Regelung kam 1955 zustande, weil insbesondere die SPD sich gegen eine Aufhebung der 2/3 Mehrheit sperrte, da sie um ihre Rechte als Oppositionspartei fürchtete. Lesen wir zu der Entstehungsgeschichte der Regelung:
„In den Jahren von 1952 bis 1954 kam es zu erheblichen Verzögerungen bei der Wahl neuer Richter des Bundesverfassungsgerichts, da im – damals zuständigen – Wahlausschuss des Bundestages und im Plenum des Bundesrates die erforderlichen qualifizierten Mehrheiten nicht erreicht werden konnten. So war es dem Bundesrat rund acht Monate lang nicht möglich, sich auf einen Nachfolger für den im Januar 1952 ausgeschiedenen Richter Claus Leusser zu einigen. Erst im September 1952 gelang dem Bundesrat die Wahl von Dr. Egon Schunck mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit. Der Wahlausschuss des Bundestages konnte sich sogar über zwei Jahre lang nicht auf einen Nachfolger des im Februar 1952 ausgeschiedenen Richters Dr. Kurt Zweigert verständigen. Erst nach mehr als zweijähriger Vakanz konnte die Richterstelle mit Karl Heck besetzt werden. Um künftige Blockaden bei der Besetzung von Richterstellen zu verhindern, schlug die Bundesregierung eine Änderung des BVerfGG vor und legte am 3. Juni 1955 einen entsprechenden Gesetzentwurf vor. Dieser sah sowohl im Wahlausschuss des Bundestages als auch im Bundesrat eine Richterwahl mit einfacher Mehrheit im zweiten Wahlgang vor, wenn eine qualifizierte Mehrheit im ersten Wahlgang nicht erreicht worden sein sollte. Der Bundesrat sprach sich demgegenüber in seiner Stellungnahme gegen eine Änderung des Wahlverfahrens aus. Der Rechtsausschuss des Bundestages empfahl, einen Beirat bilden, dem ein Vorschlagsrecht zukommen sollte, sofern innerhalb von zwei Monaten keine Richterwahl zustande gekommen sein sollte.
(…) Die Opposition im Bundestag sprach sich vehement gegen die Einführung eines Beirates und den Übergang zur Wahl mit einfacher Mehrheit aus. Die Einschaltung eines Beirates täusche die Objektivierung und Neutralisierung der Wahl der Richter lediglich vor. Die SPD-Bundestagsfraktion drohte sogar, sich künftig nicht mehr an Verfassungsrichterwahl beteiligen zu wollen, sollte der vorgeschlagene Beirat ins Leben gerufen werden. Auch der Bundesrat hegte erhebliche Bedenken gegen die Einführung eines Beirats und den damit einhergehenden Übergang zu einer Wahl mit einfacher Mehrheit. Die Bestellung zum Richter am Bundesverfassungsgericht bedürfe bei der hohen Bedeutung dieses Verfassungsorgans einer möglichst breiten Vertrauensgrundlage. Eine solche werde aber nur erzielt, wenn eine Wahl mit qualifizierter Mehrheit erfolge. Zudem verbiete sich die Schaffung eines Beirates aus verfassungsrechtlichen Gründen, da Art. 94 GG die Wahl der Richterinnen und Richter ausschließlich in die Hände von Bundestag und Bundesrat lege. Der auf Antrag des Bundesrates einberufene Vermittlungsausschuss schlug letztlich vor, das Erfordernis qualifizierter Mehrheiten beizubehalten. Lediglich im Wahlausschuss des Bundestages sollte die bis dahin notwendige Dreiviertelmehrheit auf eine Zweidrittelmehrheit herabgesetzt werden. Im Falle der Verzögerung einer Richterwahl sollte aber nicht einem eigens zu schaffenden Beirat ein Vorschlagsrecht zukommen, sondern dem Plenum des Bundesverfassungsgerichts. Hinter dem Vorschlag des Vermittlungsausschuss stand die Überlegung, dass erwartet werden könne, die Wahlorgane könnten sich auf einen vom Bundesverfassungsgericht selbst vorgeschlagenen Kandidaten im zweiten Wahlgang leichter einigen. In dieser Fassung kam das Gesetz letztlich zustande“ (Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-Haratsch BVerfGG Stand 63. EL Juni 2023 zu § 7a Tz. 1).
Es besteht also eine Regelung, die auf die Herstellung eines Kompromisses gerichtet ist. Die Parteien des Konsens wollen diese Regelung nun so ändern, dass kein Konsens mehr erzielt werden muss, sondern die Mehrheit sich in jedem Fall (über die Mehrheit im Bundesrat) gegen die Opposition durchsetzt. In der Annahme, diese Opposition werde im Bundesrat zumindest auf lange Zeit keine Mehrheit erreichen.
Wenn wir uns nun erinnern, dass die Parteibindung der gewählten Verfassungsrichter nur deshalb keinen Ablehnungsgrund in bezüglich der Parteibindung empfindlichen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht darstellen soll, weil es einen Konsens darüber gäbe, die Richter werden sich nach ihrer Wahl überparteilich verhalten, dann entfällt doch diese Begründung mit der Umstellung von Kompromissen im Interesse der Gemeinschaft auf vollständig einseitige Durchsetzung parteilicher Interessen.
Und wenn das publizistische Argument lautet, man müsse das Bundesverfassungsgericht durch Regelung in der Verfassung festigen, können wir uns noch einmal bewusst machen, die autochthonen (alten) Demokratien wie die Schweizerische Eidgenossenschaft, die Vereinigten Staaten von Amerika, das Königreich von England und Wales sowie die Französische Republik kennen ein Verfassungsgericht nicht und die Regelung des Bundesverfassungsgerichts ist, als das deutsche Volk sich diese Verfassung gegeben hat, bewusst nicht in der Verfassung vorgenommen worden, weil es keine Erfahrung damit gab und man später anhand der Erfahrungen und der Veränderungen noch einmal darüber nachdenken wollte, z. B. wenn das deutsche Volk sich nach der erhofften Wiedervereinigung eine Verfassung geben würde, wie in dem Grundgesetz vorgesehen. Aber prinzipielle Gedanken und Nachdenken sind auf dem Weg durch die Zeit verloren gegangen.